Redispatch-Prozesse spielen eine entscheidende Rolle für die Stabilität des Stromnetzes und die Integration erneuerbarer Energien. Im Rahmen des NEFI-Projekts Industry4Redispatch (I4RD) wurde erstmals in Österreich der automatisierte Redispatch-Abruf an mehreren Industriestandorten unter realistischen Bedingungen erfolgreich getestet. Große Unternehmen wie MONDI und voestalpine Stahl sowie mittelständische Betriebe wie Wiesbauer Wien haben gemeinsam mit einem Virtual Power Plant (Siemens und Energie Kompass) gezeigt, wie Flexibilität das Stromnetz entlasten kann.

Die Automatisierung des Redispatch-Prozesses ermöglicht es Industriebetrieben, ihren Stromverbrauch effizienter zu steuern und so zur Netzstabilität beizutragen. Neben technologischen Innovationen wurden auch regulatorische Rahmenbedingungen untersucht, um eine nachhaltige Alternative zu fossilen Kraftwerken zu schaffen. Dieses Projekt beweist, dass Industrie und Forschung gemeinsam neue Lösungen für die Energiewende entwickeln können.
Im Fokus: die komplette Testung des Redispatch-Prozesses
Redispatch ist ein sogenannter Notfalleingriff durch den Netzbetreiber, um Netzüberlastungen zu vermeiden und so das überregionale Stromsystem zu stabilisieren. Hierfür müssen gewöhnlich Kraftwerke in der Nähe angesteuert werden, um den Strom lokal verfügbar zu machen und die Netze damit zu entlasten. Mit I4RD können auch Betriebe dabei helfen, das Stromsystem zu stabilisieren, in dem sie ihren Verbrauch auf Zeiten verschieben, in denen der Stromverbrauch grundsätzlich geringer ist.
„Ausreichend flexibel einsetzbare Erzeuger und Verbraucher sind für den sicheren Betrieb des Stromsystems essentiell. Flexibel einsetzbare fossile Erzeugungstechnologien müssen zukünftig schrittweise durch neue Flexibilitäten ersetzt werden, um die Energiewende versorgungssicher und erfolgreich zu meistern. Das Projekt hat nun gezeigt, dass der automatisierte Redispatch-Abruf von Industriebetrieben in der Praxis gut funktioniert und dieses Potenzial neuer Flexibilitäten das Stromnetz entlasten kann. Deswegen ist I4RD für uns ein sehr wichtiges Projekt, weil es einen weiteren wichtigen Baustein für die Zukunft unseres Energiesystems liefert“, sagt Harald Köhler, der bei APG die Abteilung Systemmanagement leitet.
Von der Übermittlung der Stammdaten und des Fahrplans für den Stromverbrauch des Folgetages bis hin zur Gebotslegung und dem Redispatch-Abruf wurden alle notwendigen Schritte unter realistischen Bedingungen getestet. Die Anlagen der beteiligten Industriebetriebe erfüllten die Anforderungen des Redispatch-Abrufs, der eine Abweichung vom ursprünglichen Fahrplan erforderte, mit Erfolg. Somit konnte nachgewiesen werden, dass der automatisierte Redispatch-Abruf durch Industriebetriebe in der Praxis funktioniert.
„Im Rahmen des Projekts I4RD haben wir unser zentrales Ziel erreicht: Als Projektkonsortium ist es uns gelungen, durch diese Demonstration eindrucksvoll zu zeigen, dass der aggregierte Abruf von Redispatch-Leistungen aus mehreren flexiblen Komponenten möglich ist – und dies unter Berücksichtigung der jeweiligen Netzbedingungen in den Verteilernetzen“, erklärt Tara Esterl, Projektleiterin und Leiterin der Abteilung für integrierte Energiesysteme am AIT Austrian Institute of Technology.
Innovative Automatisierung von Redispatch-Prozessen
Das Ziel des Projekts I4RD ist es, den Beitrag von Industriebetrieben zur Redispatch-Bereitstellung zu ermöglichen und diesen Prozess vollständig zu automatisieren. Redispatch-Maßnahmen dienen der Kontrolle des physikalischen Stromflusses im Netz, um Überlastungen zu verhindern und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Bisher wurden vor allem thermische und hydraulische Kraftwerke durch manuelle Prozesse vom Übertragungsnetzbetreiber koordiniert. Durch die Automatisierung und Integration von Industriebetrieben soll langfristig ein Ersatz für konventionelle fossile Kraftwerke geschaffen werden.
Erfolgreiche Implementierung der TSO-DSO-Interaktion
Ein weiteres zentrales Element der Demonstration war die erfolgreiche Implementierung der sogenannten TSO-DSO-Interaktion. Diese soll sicherstellen, dass Redispatch-Maßnahmen keine Überlastungen im Verteilernetz verursachen. Im Rahmen des Projekts wurde ein Verfahren entwickelt, das Gebote aus dem Verteilernetz filtert, die dort zu Problemen führen könnten. Hierfür wurden Kapazitätsinformationen der Verteilernetzbetreiber (DSOs) in den Prozess integriert.
Kooperation für die Zukunft des Stromnetzes
Das Projekt I4RD vereint erstmals in Österreich alle relevanten Akteure, um ungenutzte Flexibilitäten von Industriekunden bis zu mittelgroßen Unternehmen für den Redispatch-Prozess einzusetzen. Neben der Entwicklung eines neuen Redispatch-Produkts, das die Integration neuer Flexibilität ermöglicht, wurden auch verschiedene Anreizmodelle sowie rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen untersucht.
Mit dem erfolgreichen Abschluss dieser Demonstration hat das Projekt einen weiteren Schritt hin zu einem automatisierten und zukunftsfähigen Redispatch-Prozess gemacht, der einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes und zur Integration erneuerbarer Energien leisten kann.
Projektpartner
Das Vorzeigeprojekt I4RD ist ein Schlüsselprojekt innerhalb des Innovationsnetzwerkes NEFI – New Energy for Industry. Unter der Leitung des AIT Austrian Institute of Technology GmbH sind die Partner Ankerbrot GmbH, APG Austrian Power Grid, Energie Kompass GmbH, Energienetze Steiermark GmbH, EVN AG, evon GmbH, kleinkraft. OG, Mondi AG, Netz Burgenland GmbH, Netz Niederösterreich GmbH, Netz Oberösterreich GmbH, Siemens AG, TU Wien – Institut für Energietechnik und Thermodynamik, TU Wien – Institut für Mechanik und Mechatronik, Forschungsbereich Regelungstechnik und Prozessautomatisierung, voestalpine Stahl GmbH und Wiesbauer Holding AG.
Was ist eigentlich … Redispatch
„Redispatch“ bezeichnet laut der Richtlinie EU 2019/934 eine Maßnahme, die von einem oder mehreren Übertragungs- oder Verteilernetzbetreibern durch die Veränderung des Erzeugungs- oder des Lastmusters oder von beidem aktiviert wird, um die physikalischen Lastflüsse im Stromsystem zu ändern und physikalische Engpässe zu mindern oder anderweitig für Systemsicherheit zu sorgen.
TSO – Übertragungsnetzbetreiber
Der Transmission System Operator (TSO), auch Übertragungsnetzbetreiber, betreibt operativ die Infrastruktur der überregionalen Stromnetze zur elektrischen Energieübertragung, inklusive der Beschaffung von Redispatch, sorgt für ihre bedarfsgerechte Instandhaltung und Dimensionierung und gewährt Stromlieferanten diskriminierungsfreien Zugang zu diesen Netzen. Darüber hinaus hat er die Aufgabe, bei Bedarf Regelleistung zu beschaffen und dem System zur Verfügung zu stellen, um Freuqenzschwankungen, die sich durch ein Ungleichgewicht zwischen zu einem Zeitpunkt erzeugter und verbrauchter elektrischer Energie ergeben, möglichst gering zu halten.
DSO – Verteilernetzbetreiber
Der Distribution System Operator (DSO), auch Verteilernetzbetreiber, betreibt Stromnetze zur Verteilung an Endverbraucher wie private Haushalte und Kleinverbraucher, kleinere und mittlere Industriebetriebe. Einzelne Großkunden wie energieintensive Industriebetriebe können auch direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen sein. Der DSO unterhält Stromnetze auf den Netzebenen im Niederspannungs-, Mittelspannungs- und im Hochspannungsbereich zur regionalen Stromversorgung. Er ist somit dem Übertragungsnetzbetreiber nachgelagert, der Strom über große Entfernungen in Höchstspannungsnetzen überträgt.