Die schubförmig verlaufende Multiple Sklerose zerstört unter Mißbrauch des Immunsystems Zellen in Rückenmark und Gehirn. Folge sind Entzündugsherde mit je nach Ort und Größe unterschiedlichen Symptomen: Die Betroffenen spüren zum Beispiel ein Kribbeln in Armen und Beinen, sie stolpern häufig oder sehen schlechter, sind gegebenenfalls sogar auf einen Rollstuhl angewiesen, da sie nicht mehr aus eigener Kraft gehen können.

Multiple Sklerose gilt als unheilbar, die verfügbaren Medikamente können aber eine Milderung der Symptome bewirken. „Wir können nicht einmal vorhersagen, wann ein Patient einen nächsten Schub entwickeln wird oder ob nach einem ersten Schub überhaupt eine MS entsteht“, sagt Stefanie Kürten, Professorin für Anatomie und Zellbiologie an der Universität Würzburg.
Es gäbe zwar seit kurzem neue Medikamente auf dem Markt, aber keinen Anhaltspunkt, welches davon für welche Patienten am besten ist. „Oft wird einfach ein Medikament ausprobiert, und wenn es nicht wirkt, wird das nächste versucht“, sagt Kürten. Für Patienten und Ärzte sei das sehr unbefriedigend – zumal bekannt ist, dass die MS frühzeitig effizient behandelt werden muss, um auf lange Sicht ihr Fortschreiten und den Verlust von Hirngewebe zu verhindern.
Zum Biomarker durch B-Zellen

Kürten und ihrem Team ist es jetzt erstmals gelungen, einen Biomarker für die MS zu entwickeln: Mit einer Blutanalyse lässt sich womöglich entscheiden, welcher der beiden „Therapie-Klassiker“ in der Frühphase der Krankheit zum Einsatz kommen sollte. Demnach müssten Patienten mit autoreaktiven B-Zellen im Blut mit Copaxone behandelt werden, wogegen Patienten ohne diese B-Zellen eher von einer Therapie mit IFN-beta profitieren dürften. Diese neuen Erkenntnisse wurden in Kooperation mit dem Unternehmen TEVA Pharmaceutical Industries erarbeitet. Den Biomarker-Test selbst haben die Wissenschaftler gemeinsam mit der Firma Cellular Technology Limited aus den USA entwickelt.
„Wir brauchen dafür lediglich Blutproben von den Patienten“, erklärt Kürtens Mitarbeiter Damiano Rovituso. Daraus werden die weißen Blutzellen isoliert und vier Tage lang in einer Zellkultur so stimuliert, dass die Gedächtnis-B-Zellen des Immunsystems damit anfangen, Antikörper zu produzieren. „Wir bestimmen dann, ob diese Antikörper gegen Gewebe des Zentralen Nervensystems reagieren.“ Der Test sei hochspezifisch für die Multiple Sklerose, denn B-Lymphozyten und ihre Antikörper können direkt zur Schädigung der Nervenfasern beitragen.
Studie mit Krankenhäusern
Publiziert sind die Ergebnisse im Fachblatt „Scientific Reports“. Die Würzburger Wissenschaftler haben dafür Tests mit insgesamt 57 MS-Patienten durchgeführt. An der Studie beteiligt waren die Neurologien der Universitätskliniken Köln und Würzburg; außerdem das Klinikum Augsburg, das Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim und die Charité Universitätsmedizin Berlin.
Bevor die neuen Erkenntnisse eventuell Eingang in die Routinebehandlung finden, müssen sie bei einer klinischen Studie mit größeren Patientenzahlen abgesichert werden. Eine solche Studie startet laut Stefanie Kürten voraussichtlich noch 2015; finanziert wird sie vom Arzneimittelhersteller TEVA Pharmaceutical Industries.
Durchgeführt wird die Studie gemeinsam mit Stefan Braune, Professor für Neurologie an der Technischen Universität München. Er wird über das bundesweite Netzwerk NeuroTransData GmbH Patienten aus ganz Deutschland für die Studie rekrutieren.
[alert-warning]Publikation
Damiano M. Rovituso, Cathrina E. Duffy, Michael Schroeter, Claudia C. Kaiser, Christoph Kleinschnitz, Antonios Bayas, Rebecca Elsner & Stefanie Kuerten.
The brain antigen-specific B cell response correlates with glatiramer acetate responsiveness in relapsing-remitting multiple sclerosis patients.
Scientific Reports 5, Artikelnummer 14265 (2015).
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Universität Würzburg
Institut für Anatomie und Zellbiologie
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