Anfang dieser Woche hat SIEMENS in seiner Wiener Zentrale sein Bioprozesslabor LivingLab nun auch einem breiten Publikum vorgestellt. Digitalisierung als zentraler Produktivitätshebel der Prozessindustrie kann und wird die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen maßgeblich beeinflussen. Das „lebende Labor“ beherbergt eine europaweit einzigartige Industrie 4.0 Pilotanlage, in der visionäre Ideen realitätsnah getestet und weiterentwickelt werden können. Das Living Lab Vienna unterstreicht auch die starke österreichische Branchen- und Forschungsexpertise auf dem Gebiet der Bioprozesse.
„Big Brother“ für Hefezellen
Der Bereich Corporate Technology der Siemens AG Österreich – konkret die Forschungsgruppe für Prozessanalytik und Sensorik – arbeitet gemeinsam mit der Siemens Division Process Industries and Drives CEE bereits seit einigen Jahren eng zusammen. Ein seit längerem gemeinsam betriebenes Labor, das nun ins Living Lab übergeführt wird, dient dazu, Produkt- und Forschungsaktivitäten in der Realität zu testen. Ausgestattet ist es bereits seit Beginn der Kooperation mit einem Bioreaktor, in dem als repräsentative Musterorganismen beispielsweise Hefezellen oder Laktobazillen fermentiert werden.
Schritt für Schritt wurde dieser Fermentationsprozess mit umfassender Messtechnik ausgerüstet und in das Prozessleitsystem SIMATIC PCS 7 integriert, um so das große Potenzial für die Industrie ausschöpfen zu können. So entstand eine Modellanlage für typische industrielle Prozesse, die als Chargenprozesse ablaufen. Während der Fermentation erfassen Forscher mit Hilfe von Sensoren und Analysegeräten die Prozessparameter, die die Qualität des Bioprozesses maßgeblich beeinflussen – etwa den pHWert, den Sauerstoff- und Glukosegehalt sowie die Temperatur. Darüber hinaus werden je nach Aufgabenstellung zwischen 100 und 2.000 Messwerte aus den Spektralanalysegeräten erfasst und laufend analysiert. Die Entwicklung der Hefezellen wird also lückenlos aufgezeichnet und digital verarbeitet.
Mit dieser Datenlage – einem „Digital Twin“ – können Prozesse virtuell nachgebaut, Szenarien mit veränderten Parametern geschaffen und letztendlich Ergebnisse verbessert werden. Die Prozesswiederholung im Bioreaktor sorgt für eine weitere Optimierung und soll laut Bernhard Kienlein von der Siemens-Division Process Industries and Drives beispielsweise zu weniger Ausschuss führen. Außerdem bieten Prediction-Tools die Grundlage für qualitätsgetriebene Prozesssteuerung. Bisher nachgeschaltete offline Qualitätskontrollen können so bereits in den online Herstellungsprozess eingearbeitet werden. Bernhard Kienlein im Video:
Digitalisierung als Jobtreiber
SIEMENS investierte in das LivingLab bisher rund 5 Millionen Euro und sieht bereits eine gute Auftragslage vor sich. „Österreich ist in der Automatisierung vorneweg. Und Digitalisierung setzt quasi auf Automatisierung auf.“ so SIEMENS Österreich CEO Wolfgang Hesoun. Während die Automatisierung aber Arbeitsplätze gekostet habe, hätte man vor der Digitalisierung nichts zu befürchten, sie sei sogar eher zu begrüßen. Derzeit fehlende Fachkräfte eröffnen neue Chancen – SIEMENS arbeite hier mit den Wiener Universitäten zusammen, um die Anzahl der qualifizierten Abgänger erhöhen zu können.