Chemikerinnen und Chemiker weltweit sind ständig auf der Suche, den in der Luft enthaltenen elementaren Stickstoff, kurz N2, mit einfachen Mitteln für chemische Reaktionen verfügbar zu machen. Das gestaltet sich schwierig, denn Stickstoff ist ein wenig reaktionsfreudiges Gas mit einer Dreifachbindung, die zu den stärksten bekannten chemischen Bindungen gehört. Ein Forschungsteam der FAU hat nun gezeigt, dass das in der Natur häufig vorkommende Metall Kalzium in der Lage ist, die hochstabile Stickstoff-Bindung zu brechen – und das schon bei minus 60 Grad Celsius.
Das ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Die FAU-Forschenden liefern damit neue Erkenntnisse in die bindungsbrechenden Fähigkeiten des in dieser Hinsicht bislang belächelten Kalziums. Zudem können ihre Ergebnisse als Grundlage für die Entwicklung von künftigen industriellen Prozessen dienen.
Brot-aus-Luft-Verfahren ist sehr energieaufwendig
Stickstoff ist als Hauptbestandteil der Luft überall unbegrenzt verfügbar. Er wird aufgrund seiner geringen chemischen Reaktionsfreudigkeit unter anderem als Schutzgas zur Lebensmittellagerung eingesetzt.
Stickstoff hält etwa vorgebackene Brötchen monatelang frisch, Pflanzen brauchen ihn, um zu wachsen. Allerdings können sie den Stickstoff aus der Luft nicht direkt verwerten.
Die große Herausforderung besteht darin, das hochstabile zweiatomige Molekül N2 in nützliche Chemikalien umzuwandeln. Anfang der 1900er-Jahre gelang dies zwei deutschen Chemikern. Sie entwickelten das nach ihnen benannte Haber-Bosch-Verfahren, das N2 in Ammoniak (NH3) umwandelt.
Ammoniak wurde ursprünglich zur Herstellung von Sprengstoff verwendet, aber kommt heute vor allem als Düngemittel zum Einsatz. Beim Haber-Bosch-Verfahren setzt ein Übergangsmetall-Katalysator die chemische Reaktion in Gang.
Zusätzlich erfordert die Umwandlung des hochstabilen Stickstoffs in Ammoniak hohe Drücke und Temperaturen. Dieses sogenannte Brot-aus-Luft-Verfahren ist damit sehr energieaufwendig.
Hauptgruppenelement Kalzium vollbringt Kunststück
Um unter anderem diesen chemischen Prozess zu vereinfachen, suchen Chemikerinnen und Chemiker nach weiteren Möglichkeiten, die starke N≡N-Dreifachbindung zu brechen. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Sjoerd Harder, Lehrstuhl für Anorganische und Metallorganische Chemie, konnte nun zeigen, dass das Hauptgruppenelement Kalzium dieses Kunststück vollbringen kann.
Kalzium ist ein hauptsächlich in Kalksteinfelsen und damit in der Natur häufig vorkommendes Metall, dem bislang kaum zugetraut wurde, starke chemische Bindungen zu knacken. Im Gegensatz zu den oft giftigen Übergangsmetallen ist Kalzium generell nicht in der Lage, auf d-Orbitale zurückzugreifen – eine Wellenfunktion besonderer Symmetrie, die Bindungsbruch-Reaktionen erleichtert.
Auf der Suche nach Kalzium-Atomen in der ungewöhnlichen Oxidationsstufe +I fanden die FAU-Forschenden nun zufällig heraus, dass das Metall mit Stickstoff reagiert – ironischerweise sollte der Stickstoff bei diesem Experiment eigentlich nur ein unreaktives Schutzgas sein. Harder und sein Team isolierten ein Molekül, in dem Stickstoff zwischen zwei Kalziumatomen eingeschlossen war, und zeigten die weitere Umwandlung zu Hydrazin. Hydrazin wird im Gegensatz zum sehr stabilen Stickstoff als hochreaktiver Raketentreibstoff verwendet.
Zusammen mit theoretischen Chemikerinnen und Chemikern der Universitäten in Marburg und dem chinesischen Nanjing stellten die FAU-Forschenden fest, dass unerwartet doch d-Orbitale bei der Stickstoff-Aktivierung an Kalzium eine wesentliche Rolle spielen. Diese kontroverse, aber wichtige Erkenntnis bricht das Dogma, dass d-Orbitale für Hauptgruppenmetalle – Metalle, die im Periodensystem einer der Hautgruppen zugeordnet sind – irrelevant sind.
Zwar ist der Prozess weder katalytisch noch ökonomisch, doch er liefert grundlegende neue und wichtige Einblicke in bindungsbrechende Reaktionen mit Kalzium. Diese Erkenntnisse werden nicht nur die Lehrbücher der Studierenden verändern, sondern könnten auch zur Entwicklung vereinfachter Abläufe in der Industrie beitragen.