Dr.-Ing. Kai Girod vom Fraunhofer UMSICHT spricht im Interview über Katalysatortests für die Herstellung von Methanol mit Realgasen. Im Rahmen des Projekts Carbon2Chem® testet er in einem Technikum auf dem Werksgelände von thyssenkrupp Steel in Duisburg Katalysatoren zur Methanolherstellung.
Bitte erkläre Sie uns zunächst etwas zum Standort und zur Aufgabe der Anlage.
Kai Girod: Ich arbeite in einem Forschungstechnikum neben dem Werksgelände von thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg. Hier werden Hüttengase vom angrenzenden Werksgelände in größeren Mengen in einer Gasreinigung von thyssenkrupp Industrial Solutions gereinigt und für die Labore als Gasströme zur Verfügung gestellt. Meine Anlage steht in einem Labor, das vom Fraunhofer UMSICHT betrieben wird.
Mit den bereitgestellten Gasen führen wir Experimente durch, um zielgerichtet bestimmte Produkte herstellen zu können. In meinem Fall ist das Methanol. Das Hauptmerkmal liegt auf den Tests der Katalysatoren. Dabei verwenden wir einen bereits etablierten Katalysator für ein Verfahren, das auch kurzfristig umgesetzt werden kann. Müssten wir noch einen neuen Katalysator entwickeln, würde das sehr viel Zeit in Anspruch nehmen – doch wir wollen zeitnah eine Lösung finden.
Für was sind Sie konkret zuständig?
Kai Girod: Meine Aufgabe ist es, zu überprüfen, ob die Katalysatoren, die ursprünglich für eine Methanolsynthese auf Basis von fossilen Rohstoffen entwickelt wurden und aktuell eingesetzt werden, auch für eine Methanolsynthese mit gereinigten Prozessgasen aus der Stahlindustrie verwendet werden können. Das daraus erzeugte Synthesegas ist der Ausgangsstoff einer neuen Syntheseroute für Methanol. Ich bewerte durch experimentelle Arbeiten die Stabilität des Katalysators, die sich unmittelbar auf die Effizienz des Verfahrens auswirkt.
Dabei achte ich darauf, wie die Katalysatoren mit Verunreinigungen agieren. Ich tausche mich unter anderem mit den Kolleginnen und Kollegen der Industriepartner thyssenkrupp Industrial Solutions als Anlagenbauer und Katalysatorhersteller Clariant aus und liefere Versuchsergebnisse, die für die Bewertung der verschiedenen Nutzungspfade benötigt werden.
Das Fraunhofer UMSICHT verfügt über mehrere Versuchsanlagen in unterschiedlichen Größen. Was sind die jeweiligen Aufgaben?
Kai Girod: Man muss die Versuchsanlagen ergänzend sehen. In der einen Anlage arbeiten wir mit kleinen Katalysatormengen, sodass sich bestimmte Effekte gezielter betrachten lassen. Funktioniert die Gasreinigung im Technikum so gut, dass die Katalysatoren nicht »vergiftet« werden? Es wäre beispielsweise denkbar, dass Verunreinigungen aus den Stahlwerksabgasen nicht abgetrennt werden können. Bei der größeren Anlage geht es dann um die Übertragbarkeit in den Großmaßstab. Dort herrschen Bedingungen ähnlich wie in einer technischen Anlage.
In der Laboranlage, an der ich arbeite, befinden sich aktuell wenige Gramm Katalysator. In einer späteren industriellen Anlage würden wir von vielen Tonnen sprechen. Die Menge an Gas, die ich verbrauche, liegt ungefähr bei 1 Liter pro Minute. Das scheint sehr wenig – aber Temperatur und Druck, also die eigentlichen Reaktionsbedingungen, entsprechen denen in einer Großanlage. Die Drücke liegen im Bereich zwischen 60 und 90 bar, die Temperaturen zwischen 240 und 290 °C.
Es wird Realgas verwendet. Wo ist der Unterschied zum Flaschengas?
Kai Girod: Ein Teil der Realgase wird in unser Labor geleitet, sodass wir mit ihnen experimentieren können. Es gibt gewisse Faktoren, die man sicherlich auch in anderen Laboren testen könnte – die Hauptkomponenten Kohlendioxid und Kohlenmonoxid, Stickstoff und Wasserstoff ließen sich auch selber mischen. In Realgasen sind jedoch auch Spurenstoffe und Verunreinigungen zu finden, welche aus den Rohstoffen der Stahlerzeugung – Kohle oder Erz – kommen. Diese können zu einer Schädigung der Katalysatoren führen. Sie würden »vergiftet«. Deshalb gibt es hier zusätzlich eine Gasreinigungsanlage auf dem Gelände, die die Gase vorreinigt. Wir analysieren, ob dies ausreichend ist. Man muss die Realgase so reinigen, dass der Prozess stabil funktioniert. Würde man jedoch zu viel Aufwand betreiben, wäre es schlecht für die Wirtschaftlichkeit. Es kommt auf das richtige Verhältnis an.
Woher kommt das verwendete Realgas?
Kai Girod: Auf dem Stahlwerksgelände gibt es verschiedene Gasquellen: Hochofen-, Konverter- und Kokereigas. Zunächst einmal ist da die Stahlerzeugung, bei der Roheisen in Stahl umgewandelt wird. Dann gibt es die Hochöfen. Deren Gaszusammensetzung ist jedoch anders, sodass wir die Gase getrennt voneinander testen. Betrachtet man das Ganze übergeordnet, kommt es nicht nur auf die Zusammensetzung der Gase an, sondern auch auf die Verfügbarkeit. Die größte Menge kommt letztendlich aus dem Hochofen. Unser Ziel ist es, CO2-Emissionen zu vermeiden, weshalb wir uns vor allem den Gasströmen widmen, die besonders groß sind.
Können Sie schon von ersten Meilensteinen berichten?
Kai Girod: Bisher haben wir es geschafft, über mehrere 1000 Stunden Methanol in unserer Anlage zu erzeugen. Das funktioniert gut. Wir müssen nun untersuchen, wie effizient das Verfahren ist. Wie stabil sind die Katalysatoren und wie lange halten sie in der Realität durch? Wir arbeiten daran, das Verfahren zu optimieren und in einer zukünftigen Großanlage lange Lebenszyklen der eingesetzten Katalysatoren zu gewährleisten, um die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens weiter zu verbessern.
Wie geht es weiter? Was sind die nächsten Herausforderungen?
Kai Girod: Eine große Herausforderung ist die Beurteilung der Stabilität des Verfahrens. Dafür müssen die Versuche über Wochen und Monate ohne Pause laufen. Das ist eine große praktische Aufgabe, denn es müssen viele verschiedene Anlagen gleichzeitig funktionieren. Wenn es Probleme gibt, gilt es sich zu vergewissern, ob sie die Aussage des Versuchs beeinträchtigt haben. Es ist im Nachhinein oft schwierig zu beurteilen, ob man die Ergebnisse noch verwerten kann. Das Ziel ist es, kontinuierliche Ergebnisse über Monate zu erhalten.
Kommen wir zum eigentlichen Produkt: Wofür kann das entstandene Methanol verwendet werden?
Kai Girod: Methanol ist eine Grundchemikalie, die sich in verschiedenste Produkte umwandeln lässt. Wichtige chemische Produkte aus Methanol sind beispielsweise Formaldehyd, aus dem Klebstoffe und Kunstharze zur Herstellung von Spanplatten oder Essgeschirr produziert werden, oder Essigsäure, die überwiegend zur Herstellung von Polymeren verwendet wird. Methanol kann aber auch zu Kraftstoffen wie Benzin, Diesel und Kerosin umgewandelt werden oder selbst als Kraftstoff dienen. Erste große Reedereien bestellen Schiffe, die mit Methanol laufen. Eine große Herausforderung bei der Herstellung ist jedoch, dass Wasserstoff benötigt wird – auch, um die Stahlwerksabgase zu nutzen. Dieser muss natürlich aus regenerativen Quellen stammen, sonst ergibt alles keinen Sinn. Die Bereitstellung der enormen Mengen an Wasserstoff ist eine weitere große Herausforderung.
Ist diese Art der Methanolherstellung auf Hüttengase beschränkt oder kann sie auch auf andere Industriezweige adaptiert werden?
Kai Girod: Die Abgase der verschiedenen Industrien haben andere Zusammensetzungen und Verunreinigen; darauf muss die Gasreinigung abgestimmt werden. Wir versuchen, reines CO2 abzutrennen. Wenn uns das gelingt und wir ein technisches Verfahren zur Methanolherstellung entwickeln, kann es auch auf andere Industriezweige übertragen werden. Müllverbrennungsanlagen oder Zementwerke etwa könnten sich für eine ähnliche Synthese eignen.
Die Stahlproduktion soll in Zukunft durch die Umstellung auf Wasserstoff grün werden. Wofür bedarf es dann noch des von Ihnen erforschten Verfahrens zur Methanolsynthese aus Hüttengasen?
Kai Girod: Die Stahlindustrie möchte sehr schnell CO2 einsparen. Die Verwertung der Hüttengase ist eine Möglichkeit, dies zeitnah zu realisieren. Wir sprechen von einem Zeithorizont von wenigen Jahren. Grundsätzlich möchte die Stahlindustrie aber mittels Direktreduktionsanlagen komplett auf Wasserstoff umstellen. Bis dahin werden wir den Transformationspfad der Industrie mit begleiten und CO2 weiter reduzieren und nutzen, auch um die Abhängigkeit von Erdgas zu verringern. Nach der Umstellung auf Direktreduktionsanlagen werden im Stahlwerk weiterhin CO2-haltige Gase in der Größenordnung von 10 bis 20 Prozent der aktuell ausgestoßenen Mengen anfallen. Das heißt, die Technologie, die wir jetzt entwickeln, ist eine Möglichkeit, zeitnah und auf lange Sicht CO2-Emissionen zu vermeiden. Ohne unser Vorhaben würden in der Zwischenzeit enorme Mengen an CO2 anfallen – das wollen wir verhindern.
Aber auch, wenn die Hütte in Zukunft auf Wasserstoff umgestellt ist, wird es noch viele Industriezweige geben, die CO2 emittieren. Bei der Zementherstellung etwa wird aufgrund der chemischen Reaktion beim Brennen von Kalk immer CO2 freigesetzt werden. Die Technologien, die wir entwickeln, sind also eine nachhaltige Investition.