An der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde ein Verfahren zur hocheffizienten thermischen Härtung von sehr dünnem Glas weiterentwickelt. Es könnte die Limitierung des thermischen Vorspannens auf Glasdicken im Millimeterbereich beseitigen und den Prozess auf ganz neue Glastypen anwendbar machen.
Durch den Prozess des thermischen Vorspannens erhöht sich die Festigkeit und somit die Haltbarkeit von Glas. Herkömmliche Glasscheiben werden in einfacher und hocheffizienter Weise verfestigt, wodurch zahlreiche heute selbstverständliche Glasprodukte wie Sicherheitsverscheibungen, Abdeckgläser auf Solarmodulen oder Duschtrennwände überhaupt erst möglich wurden. So zerfallen Automobilscheiben bei einer Beschädigungen kontrolliert in kleine Krümel anstatt in scharfkantige Bruchstücke.
Dünnes Glas als wirtschaftlicher Faktor
Allerdings unterliegt das thermische Vorspannen einer ganzen Reihe technologischer Grenzen. Insbesondere ist es nur für Glasprodukte mit einer gewissen Mindestwandstärke anwendbar. Dies sind bei Glasscheiben oder Substraten etwa zwei Millimeter. Für eine Vielzahl moderner Glasprodukte spielen heute jedoch oft viel geringere Glasdicken eine wichtige Rolle. Diese ermöglichen nicht nur eine deutliche Material- und Gewichtsersparnis, sondern sind zudem bieg- oder sogar rollbar. Materialwissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben hierfür nun ein Verfahren weiterentwickelt, das die Limitierung des thermischen Vorspannens auf Glasdicken im Millimeterbereich beseitigen könnte und den Prozess zudem auf ganz neue Glastypen anwendbar macht. Der Europäische Forschungsrat unterstützt den Jenaer Glasexperten Prof. Dr. Lothar Wondraczek nun bei der weiteren Entwicklung des Prozesses mit dem renommierten „ERC Proof of Concept Grant“.
Gradient sorgt für Spannung
„Um das Glas thermisch vorzuspannen, wird es in der Regel zunächst auf über 600 Grad Celsius erhitzt und dann abrupt – meist durch das Anblasen kalter Luft – abgekühlt“, erklärt Prof. Wondraczek. „Das erzeugt einen deutlichen Unterschied in der Abkühlgeschwindigkeit zwischen der Oberfläche und dem Inneren des Körpers.“ Dieser Gradient führt in der Folge zu einer bleibenden Oberflächendruckspannung, der eine Zugspannung im Inneren entgegengesetzt ist. Das Zusammenspiel beider Spannungen führt zu den speziellen Eigenschaften thermisch vorgespannter Gläser.
Entscheidend für den Prozess ist, wie schnell die Wärme dem erhitzten Glas über seine Oberfläche entzogen werden kann. Dies wiederum hängt von zwei Faktoren ab: zum einen von der Wärmeleitfähigkeit des Glases, zum anderen vom Wärmeübergangskoeffizienten – also der Geschwindigkeit, mit der die Wärme in die Umgebung abgeleitet wird. Während erstere unmittelbar an die chemische Zusammensetzung des Materials gekoppelt ist und nicht verändert werden kann, ohne sich vom herkömmlichen Glas zu entfernen, lässt sich die Geschwindigkeit, mit der das Glas abkühlt, durchaus beeinflussen.
Schnelleres Abkühlen dünner Gläser
Genau auf diese Größe konzentrierten sich die Jenaer Materialwissenschaftler, um das thermische Vorspannen auch für dünne Gläser anwendbar zu machen.
„Kühlt man Glas, das eine Dicke von weniger als zwei Millimeter aufweist, mit Luft, so wird die Wärme im Inneren genauso schnell verteilt wie abgeführt – es entsteht also kein Gradient und somit keine Spannung. Deshalb haben wir einen Vorspannprozess entwickelt, bei dem das Glas gerade nicht an Luft, sondern in einem flüssigen Kühlmedium vorgespannt wird.“
Prof. Dr. Lothar Wondraczek, Otto-Schott-Institut für Materialforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Eine Herausforderung dabei war es, geeignete Kühlmittel zu finden, die bereits nahe der Raumtemperatur flüssig sind, jedoch selbst bei Temperaturen deutlich über 800 Grad Celsius noch nicht verdampfen.
Auf diese Weise lässt sich das thermische Vorspannen auch auf besonders dünne und auf unkonventionell geformte Gläser erweitern. „In Vorstudien haben wir zeigen können, dass das Verfahren auch in der Breite anwendbar ist“, erklärt der Glasspezialist der Universität Jena. „Deshalb wollen wir es nun in die Praxis überführen.“ Zum einen könnten so aufwendigere, teurere und umweltschädlichere Methoden zur Verbesserung der Festigkeit dünnwandiger Gläser abgelöst werden. Zum anderen ließe sich der Einsatz von Glas als Material erweitern, beispielsweise in der Elektrotechnik oder auch bei einfachen Alltagsgegenständen wie Spezialverpackungen, medizinischen Injektoren oder Trinkhalmen.